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2007-11-10 Die Freie Szene Wiens zwischen Theaterreform und Zukunft
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von Forumsleitung • Forumsleitung | 2.035 Beiträge
2007-11-10 Die Freie Szene Wiens zwischen Theaterreform und Zukunft
in 2007 11.11.2007 01:03von Forumsleitung • Forumsleitung | 2.035 Beiträge
E-Mail Sa 10.11.2007 11:03
Quelle: Internet Magazin nachtkritik.de
Mit nachtkritik.de gibt es nun seit dem 4. Mai 2007 ein überregionales und unabhängiges Theaterfeuilleton, das nach wichtigen Premieren im deutschsprachigen Raum bereits am nächsten Morgen werktags um 9 Uhr und sonntags um 10 Uhr die Kritik dazu ins Internet stellt.
http://www.nachtkritik.de
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Die Freie Szene Wiens zwischen Theaterreform und Zukunft
Gut bestallt und schlecht behaust
von Georg Petermichl
Wien, September 2007. Im vergangenen Jänner, Haiko Pfost und Thomas Frank waren da gerade erst als Leitungsduo für die Zukunft des Wiener dietheater Künstlerhaus installiert, wurden sie nach ihrer Wahrnehmung der Wiener Theaterszene gefragt. "Wenig Durchlässigkeit zwischen Hoch- und Offkultur", das war ihre knappe Antwort im gift, der Publikation der Interessensgemeinschaft für freie Theaterarbeit (IGFT).
Und Frank, als ehemaliger Programmdramaturg der Berliner Sophiensaele sowie Pfost, bisher freier Festivaldramaturg zum Beispiel der Mannheimer Schillertage oder des Steirischen Herbsts, den beiden muss das auffallen: Produktionen aus der Wiener Off-Theater-Szene verirren sich kaum in die größeren, kulturpolitisch durchgefütterten Häuser oder ins Programm internationaler Theaterfestivals.
Zwar gilt, laut gelebtem Kulturgesetz, dass die Minuten bahnbrechenden Theaterfortschritts typischerweise im Off der etablierten Bühnen entstehen und dann von letzteren als eigene Erfolge einprogrammiert werden. Aber in Wien liefern die großen Häuser eigenproduzierte Avantgarde, während die Off-Szene besonders im Bereich Theater stagniert.
Das brut ist bald fertig, die Innovationen können kommen
Mit den Herren Pfost und Frank soll sich das ändern. Die beiden Deutschen wurden von der Stadt Wien bestellt, um den freien darstellenden Künstlern in Wien ein interdisziplinäres Ko-Produktionshaus zu managen, also einen international sichtbaren Zufluchtsort für Innovationen. Das dietheater wird dazu gerade umgebaut und am 9. November unter dem neuen Namen brut eröffnet. Laut Pfost und Frank (gegenüber der Nachrichtenagentur APA) sind Themenfelder mit "lokalen Koproduktionen" geplant; sie sollen um anknüpfbare, internationale Gastspiele bereichert werden. So nebulös bleiben die Informationen zum Programm noch bis zur Pressekonferenz am 9. Oktober, aber in der Wiener Situation klingt das schon vielversprechend.
Seit den 1980er Jahren haben sich freie Theatergruppen in ihren Produktionsweisen und dazugehörigen Klein- und Mittelbühnen samt Stammpublikum einzementiert. Bewegung war seither fast ausschließlich in Randbereichen wie dem Jugendtheater oder im Schnittbereich zu Tanz und Performance zu sehen. Die Eigenproduktionen von Häusern mit bis zu 200 Plätzen wie dem Theater Drachengasse, dem vor eineinhalb Jahren von drei freien Gruppen übernommenen TAG (Theater an der Gumpendorfer Straße) oder dem Ensembletheater geraten oftmals konventionell. Die offensichtliche Angst vor dem ästhetischen Experiment führt zu einem Platz weit unten im Pool bedeutender Off-Produktionen aus europäischen Städten. Einzig das KosmosTheater sticht mit seinem genderthematischem Schwerpunkt hervor.
Reform geglückt – verändert: fast nichts
Unter der Leitung von Airan Berg – er selbst kommt aus der freien Szene – sollte ab 2001 auch das Wiener Schauspielhaus (über 200 Plätze) einen Schnittpunkt zwischen High und Off darstellen. Richtig Off wurde es dort aber nie. Mit dem neuen Leiter Andreas Beck wird das Haus nun vom Stagione- auf das Repertoire-System umgestellt. Das klingt nicht nach Nestwärme für die heimische freie Szene. Nur das Wiener Tanzquartier (TQW, gegründet 2001) konnte sich in den letzten Jahren diesbezüglich als seriöse Plattform etablieren – allerdings wiederum für Projekte mit Tendenzen zu Performance und Tanz.
2005 hat die Freie Szene die groß-gedachte "Wiener Theaterreform" überlebt. Dabei sollten Mittel durch die Umstellung von Struktur- auf Konzeptförderung locker werden, die Ausweitung mehrjähriger Subventionierung will den Gruppen längerfristiges Planen ermöglichen, und für die Verteilung der Gelder ist ein dreiköpfiges Fachkuratorium zuständig. Klingt rosig. Verändert hat sich aber nichts. Die meisten Strukturen haben unbeschadet überstanden; Mittel wurden – so jedenfalls – nicht frei. Seit Jänner 2007 besteht das Kuratorium aus Angela Glechner, André Thurnheim und Marianne Vejtisek. Die drei bestimmen nun also über den Fortbestand von Off-Projekten und müssen die Angst der Szene vor einem "neoliberalen Kahlschlag" (IGFT) vertreiben.
Doppelt so viel Geld wie in Berlin
Jedenfalls: Die Wiener Off-Szene steht im internationalen Vergleich gut da: Mit etwa 20 Millionen Euro pro Jahr verfügt man über doppelt so viel Geld wie in Berlin. Freilich, mehr als die Hälfte davon wird in den Betrieb der Theaterhäuser gesteckt. Für die etwa 150 freien Gruppen sind die vierjährigen Konzeptförderungen (14 Formationen erhalten 2007 insgesamt 2,9 Millionen Euro) besonders interessant, zusätzlich werden kürzerfristige Projekte (heuer insgesamt 45) mit einem Gesamtjahresbudget von etwa 2,4 Millionen im Jahr gefördert. Diese Zahlen betreffen die Fördermittel der Stadt Wien. Davon abgesehen steht ein jährlich schrumpfender Betrag von etwa 2,5 Millionen Euro vom Bund für die österreichische Off-Szene zur Verfügung. Dieser kümmert sich lieber um die Bundestheater (Burg, Staats- und Volksoper). Mit derzeit 133,7 Millionen Euro jährlich, die 2008 noch um 5 Millionen erhöht werden sollen.
Migrantengemachter Massenstep gegen die Marktform
Zahlen halt. Bleibt nur, Betroffene zu befragen, wie die Regisseurin, Choreografin und bildende Künstlerin Claudia Bosse. Das von ihr geleitete und 1996 in Berlin mitgegründete theatercombinat gehört mit der Performance-Formation toxic dreams zu den vielversprechenden Wiener Off-Teams. Mit vier fixen Mitstreitern kümmert sie sich um die Grauräume zwischen Theorie, Architektur und darstellenden Kunstformen, erstellt dort bemerkenswert neue Theaterformate: "turn terror into sport" hat am 15. September Premiere, eine Massenstepchoreografie, als massive rhythmische Intervention am Wiener Maria-Theresien-Platz.
"Um einiges besser" sei die Fördersituation in Wien, sagt Bosse, die 1999 mit ihrer Truppe von Berlin übersiedelte. "Seit der Reform geht es uns sogar noch besser." Sie räumt aber ein, dass nicht die gesamte Szene profitiere und das Geld weiterhin zu wenig sei – derzeit sind das 170.000 Euro jährlich im Falle des theatercombinats. Und zur Zusammenarbeit mit Koproduktionshäusern meint sie: "Du musst eben schauen, in welcher Form es möglich ist, anders zu denken und neue Räume zu öffnen. Entweder mit kleinen Reibungsflächen in etablierten Plattformen oder überhaupt autonom. Aber jedenfalls nicht marktförmig." Klingt kämpferisch. Genau das, was die Wiener Off-Szene braucht.
Copyright © 2006 S. A. DeCaro
http://www.nachtkritik.de/index.php?opti...d=418&Itemid=61
Quelle: Internet Magazin nachtkritik.de
Mit nachtkritik.de gibt es nun seit dem 4. Mai 2007 ein überregionales und unabhängiges Theaterfeuilleton, das nach wichtigen Premieren im deutschsprachigen Raum bereits am nächsten Morgen werktags um 9 Uhr und sonntags um 10 Uhr die Kritik dazu ins Internet stellt.
http://www.nachtkritik.de
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Die Freie Szene Wiens zwischen Theaterreform und Zukunft
Gut bestallt und schlecht behaust
von Georg Petermichl
Wien, September 2007. Im vergangenen Jänner, Haiko Pfost und Thomas Frank waren da gerade erst als Leitungsduo für die Zukunft des Wiener dietheater Künstlerhaus installiert, wurden sie nach ihrer Wahrnehmung der Wiener Theaterszene gefragt. "Wenig Durchlässigkeit zwischen Hoch- und Offkultur", das war ihre knappe Antwort im gift, der Publikation der Interessensgemeinschaft für freie Theaterarbeit (IGFT).
Und Frank, als ehemaliger Programmdramaturg der Berliner Sophiensaele sowie Pfost, bisher freier Festivaldramaturg zum Beispiel der Mannheimer Schillertage oder des Steirischen Herbsts, den beiden muss das auffallen: Produktionen aus der Wiener Off-Theater-Szene verirren sich kaum in die größeren, kulturpolitisch durchgefütterten Häuser oder ins Programm internationaler Theaterfestivals.
Zwar gilt, laut gelebtem Kulturgesetz, dass die Minuten bahnbrechenden Theaterfortschritts typischerweise im Off der etablierten Bühnen entstehen und dann von letzteren als eigene Erfolge einprogrammiert werden. Aber in Wien liefern die großen Häuser eigenproduzierte Avantgarde, während die Off-Szene besonders im Bereich Theater stagniert.
Das brut ist bald fertig, die Innovationen können kommen
Mit den Herren Pfost und Frank soll sich das ändern. Die beiden Deutschen wurden von der Stadt Wien bestellt, um den freien darstellenden Künstlern in Wien ein interdisziplinäres Ko-Produktionshaus zu managen, also einen international sichtbaren Zufluchtsort für Innovationen. Das dietheater wird dazu gerade umgebaut und am 9. November unter dem neuen Namen brut eröffnet. Laut Pfost und Frank (gegenüber der Nachrichtenagentur APA) sind Themenfelder mit "lokalen Koproduktionen" geplant; sie sollen um anknüpfbare, internationale Gastspiele bereichert werden. So nebulös bleiben die Informationen zum Programm noch bis zur Pressekonferenz am 9. Oktober, aber in der Wiener Situation klingt das schon vielversprechend.
Seit den 1980er Jahren haben sich freie Theatergruppen in ihren Produktionsweisen und dazugehörigen Klein- und Mittelbühnen samt Stammpublikum einzementiert. Bewegung war seither fast ausschließlich in Randbereichen wie dem Jugendtheater oder im Schnittbereich zu Tanz und Performance zu sehen. Die Eigenproduktionen von Häusern mit bis zu 200 Plätzen wie dem Theater Drachengasse, dem vor eineinhalb Jahren von drei freien Gruppen übernommenen TAG (Theater an der Gumpendorfer Straße) oder dem Ensembletheater geraten oftmals konventionell. Die offensichtliche Angst vor dem ästhetischen Experiment führt zu einem Platz weit unten im Pool bedeutender Off-Produktionen aus europäischen Städten. Einzig das KosmosTheater sticht mit seinem genderthematischem Schwerpunkt hervor.
Reform geglückt – verändert: fast nichts
Unter der Leitung von Airan Berg – er selbst kommt aus der freien Szene – sollte ab 2001 auch das Wiener Schauspielhaus (über 200 Plätze) einen Schnittpunkt zwischen High und Off darstellen. Richtig Off wurde es dort aber nie. Mit dem neuen Leiter Andreas Beck wird das Haus nun vom Stagione- auf das Repertoire-System umgestellt. Das klingt nicht nach Nestwärme für die heimische freie Szene. Nur das Wiener Tanzquartier (TQW, gegründet 2001) konnte sich in den letzten Jahren diesbezüglich als seriöse Plattform etablieren – allerdings wiederum für Projekte mit Tendenzen zu Performance und Tanz.
2005 hat die Freie Szene die groß-gedachte "Wiener Theaterreform" überlebt. Dabei sollten Mittel durch die Umstellung von Struktur- auf Konzeptförderung locker werden, die Ausweitung mehrjähriger Subventionierung will den Gruppen längerfristiges Planen ermöglichen, und für die Verteilung der Gelder ist ein dreiköpfiges Fachkuratorium zuständig. Klingt rosig. Verändert hat sich aber nichts. Die meisten Strukturen haben unbeschadet überstanden; Mittel wurden – so jedenfalls – nicht frei. Seit Jänner 2007 besteht das Kuratorium aus Angela Glechner, André Thurnheim und Marianne Vejtisek. Die drei bestimmen nun also über den Fortbestand von Off-Projekten und müssen die Angst der Szene vor einem "neoliberalen Kahlschlag" (IGFT) vertreiben.
Doppelt so viel Geld wie in Berlin
Jedenfalls: Die Wiener Off-Szene steht im internationalen Vergleich gut da: Mit etwa 20 Millionen Euro pro Jahr verfügt man über doppelt so viel Geld wie in Berlin. Freilich, mehr als die Hälfte davon wird in den Betrieb der Theaterhäuser gesteckt. Für die etwa 150 freien Gruppen sind die vierjährigen Konzeptförderungen (14 Formationen erhalten 2007 insgesamt 2,9 Millionen Euro) besonders interessant, zusätzlich werden kürzerfristige Projekte (heuer insgesamt 45) mit einem Gesamtjahresbudget von etwa 2,4 Millionen im Jahr gefördert. Diese Zahlen betreffen die Fördermittel der Stadt Wien. Davon abgesehen steht ein jährlich schrumpfender Betrag von etwa 2,5 Millionen Euro vom Bund für die österreichische Off-Szene zur Verfügung. Dieser kümmert sich lieber um die Bundestheater (Burg, Staats- und Volksoper). Mit derzeit 133,7 Millionen Euro jährlich, die 2008 noch um 5 Millionen erhöht werden sollen.
Migrantengemachter Massenstep gegen die Marktform
Zahlen halt. Bleibt nur, Betroffene zu befragen, wie die Regisseurin, Choreografin und bildende Künstlerin Claudia Bosse. Das von ihr geleitete und 1996 in Berlin mitgegründete theatercombinat gehört mit der Performance-Formation toxic dreams zu den vielversprechenden Wiener Off-Teams. Mit vier fixen Mitstreitern kümmert sie sich um die Grauräume zwischen Theorie, Architektur und darstellenden Kunstformen, erstellt dort bemerkenswert neue Theaterformate: "turn terror into sport" hat am 15. September Premiere, eine Massenstepchoreografie, als massive rhythmische Intervention am Wiener Maria-Theresien-Platz.
"Um einiges besser" sei die Fördersituation in Wien, sagt Bosse, die 1999 mit ihrer Truppe von Berlin übersiedelte. "Seit der Reform geht es uns sogar noch besser." Sie räumt aber ein, dass nicht die gesamte Szene profitiere und das Geld weiterhin zu wenig sei – derzeit sind das 170.000 Euro jährlich im Falle des theatercombinats. Und zur Zusammenarbeit mit Koproduktionshäusern meint sie: "Du musst eben schauen, in welcher Form es möglich ist, anders zu denken und neue Räume zu öffnen. Entweder mit kleinen Reibungsflächen in etablierten Plattformen oder überhaupt autonom. Aber jedenfalls nicht marktförmig." Klingt kämpferisch. Genau das, was die Wiener Off-Szene braucht.
Copyright © 2006 S. A. DeCaro
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zuletzt bearbeitet 11.11.2007 01:05 |
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