2013-04-22 Stuttgarter Tanz- und Theaterpreis - Bilanz und Gewinner
2013-04-22 Stuttgarter Tanz- und Theaterpreis - Bilanz und Gewinner
in 2013 22.04.2013 09:16von Forumsleitung • Forumsleitung | 2.035 Beiträge
23. Stuttgarter Tanz- und Theaterpreis. Landesfestival der freien Theater Baden-Württemberg – Der Neustart ist geglückt
Stuttgart, 21. April 2013. In der Nacht zum Sonntag ging der neu konzipierte Stuttgarter Tanz- und Theaterpreis mit einer festlichen, gut gelaunten Preisverleihung zu Ende. Je fünf Tanz- und Theaterstücke aus der freie Szene Baden-Württembergs waren für die fünf Auszeichnungen in Höhe von insgesamt € 21.000 nominiert.
Die beiden Hauptpreise zu jeweils € 6.000 gingen in der Kategorie Schauspiel/Performance an Das Stueck (Intervention) von Herbordt/Mohren, Stuttgart, und in der Kategorie Tanz an Aloun Marchal, Roger Sala Reyner, Simon Tanguy für Gerro, Minos & Him, koproduziert von zeitraumexit e.V. Mannheim.
Überreicht wurden sie in schöner Symbolik vom Stuttgarter Oberbürgermeister Fritz Kuhn und Ministerialdirektorin Dr. Simone Schwanitz, Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst – denn das Festival wird gemeinsam von der Stadt Stuttgart und dem Landesverband der Freien Tanz- und Theaterschaffenden Baden-Württemberg (LAFTT) veranstaltet. Die Jury lobte vor allem die große Bandbreite und Vielfalt der ästhetischen Konzepte und Arbeitsweisen, die sich in den ausgewählten Produktionen zeigte. Auch die zunehmende überregionale Vernetzung der Szene in Baden-Württemberg wurde von ihr positiv hervorgehoben.
Aufbruchstimmung: Das neue Festivalkonzept kommt an
Zugegeben: Bei der Eröffnung am Montag, 15. April herrschte Lampenfieber bei den Veranstaltern. Würde das neue Konzept aufgehen? Und wie würde die Szene im Südwesten „ihr“ Festival nach mehr als zwei Jahren Pause annehmen? Nach sechs künstlerisch ergiebigen Tagen stand fest: sehr gut! Die je nach Perspektive 23. oder 1. Ausgabe des Stuttgarter Tanz- und Theaterpreises stieß auf tollen Zuspruch, sowohl in der Community als auch beim Publikum und in den Medien.
Seit dem letzten Stuttgarter Theaterpreis und dem parallel stattfindenden Bundeskongress der Freien Darstellenden Künstler im Dezember 2010 scheint tatsächlich ein Ruck durch die Szene gegangen zu sein. Die freien Tanz- und Theaterschaffenden aus Baden-Württemberg haben endgültig und erkennbar aufgeschlossen zur teilweise deutlich besser geförderten freien Szene in anderen Bundesländern. Eine Entwicklung, die auch Ministerialdirektorin Dr. Simone Schwanitz in ihrer kurzen Rede würdigte: „Die gute Resonanz in den letzten Tagen zeigt, dass es richtig war, das Landesfestival neu zu konzipieren. Dadurch hat die Veranstaltung weiter an Strahlkraft gewonnen. Das Land unterstützt diese positive Entwicklung durch einen erhöhten Zuschuss.“ Eine Sicht, die ihr Co-Laudator, Oberbürgermeister Fritz Kuhn, ganz offensichtlich teilte: „Der Stuttgarter Tanz- und Theaterpreis hat dank des Engagements aller Beteiligten ein neues Gesicht bekommen und damit zusätzliches Profil gewonnen. Theater und Tanz sind jetzt enger verknüpft, und für die Tanz- und Theaterleute ist das neue Stipendienprogramm eine erfreuliche Nachricht. Ein Dankeschön geht ans Land, das künftig mit der Stadt als Zuschussgeber finanziell gleichziehen will.“
Viele frische Impulse: Der Workshop von Rimini Protokoll
Ein großes Anliegen der Veranstalter war, dass die freie Szene im Land – über den Wettbewerb und den künstlerischen Austausch vor Ort hinaus – inhaltlich vom Stuttgarter Tanz- und Theaterpreis profitiert. Ein Ziel, das mit einem Fortbildungsangebot der Extraklasse mehr als erreicht wurde: Helgard Haug und Daniel Wetzel von der legendären Dokumentartheater-Gruppe Rimini Protokoll hielten während der Festivalwoche einen theoretisch-praktischen Workshop für zehn freie Tanz- und Theaterschaffende aus Baden-Württemberg ab. Das Stipendienprogramm sollte die künstlerische Positionsbestimmung der Teilnehmer schärfen. Moderiert und begleitet wurde dieser Prozess von Christian Holtzhauer (Staatstheater Stuttgart und Vorsitzender der Dramaturgischen Gesellschaft). Die Stimmung und das Feedback der zehn Auserwählten ließ keinen Raum für Interpretationen. Es war schlicht: begeistert.
Die Gewinner und Preise im Überblick:
Stuttgarter Tanz- und Theaterpreis in der Kategorie Schauspiel/Performance in Höhe von € 6.000 – gestiftet von der Landeshauptstadt Stuttgart, überreicht von Oberbürgermeister Fritz Kuhn
Herbordt/Mohren mit Das Stueck (Intervention) I Stuttgart
Aus der Begründung der Jury:
„Wir sind gekommen, um das Das Stueck (Intervention) vom Künstlerpaar Herbordt/Mohren zu sehen. Der Schauplatz der Handlung, den wir nur in kleinen Gruppen und zögerlich betreten, ist die Bühne selbst. Ah, denken wir, das kennen wir: Die Zuschauer sollen sich unter die Akteure mischen oder umgekehrt. Es geht um Tuchfühlung, aber womit? Die erste Kontaktaufnahme erfolgt mit dem Künstlerpaar höchstselbst, das uns mit MP3-Playern ausstattet, technische Anweisungen erteilt und uns freundlich lächelnd auf die Bühne schickt. Ein seitenstarkes Konvolut, selbst "Das Stueck" genannt und uns im praktischen Stoffbeutel als weiteres Requisit mit an die Hand gegeben, dient im folgenden als Vor-Schrift und Begleittext. Und während wir im "Stueck" blättern und dabei den Klängen, Informationen und Handlungsvorschlägen auf unseren Kopfhörern lauschen, gerät das Jahrtausende alte Kulturphänomen "Theater" auf rätselhafte Weise in Bewegung, verflüchtigt sich zwischen und inmitten all der Anwesenden, um sich zugleich, wie eine Ahnung, erneut, vielleicht aber auch zum allerersten Mal, zu etablieren, einzustellen, uns zuzugesellen.
Die Bedingungen, unter den all dies geschieht, sind dramatisch: 8 Minuten und 31 Sekunden Sonnenlicht wären es, die uns letztmalig bleiben, sollte die Sonne jetzt, in diesem Augenblick erlöschen. Ein letztes Mal 8 Minuten und 31 Sekunden Sonnenlicht, um zu lesen, zu beobachten und zu hören und um von einer (vielleicht sogar nur angenommenen) Wahrnehmung aus für einen Moment, in den unerforschten Spielraum einer "unbestimmten Zukunft" hinein, eine Welt, eine Gesellschaft, ein Stueck Theater neu zu konstruieren, neu zu konstituieren.“
Stuttgarter Tanz- und Theaterpreis in der Kategorie Tanz in Höhe von € 6.000 – gestiftet von der Landeshauptstadt Stuttgart, überreicht von Dr. Simone Schwanitz, Ministerialdirektorin im Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst
für Aloun Marchal, Roger Sala Reyner, Simon Tanguy mit Gerro, Minos & Him I produziert von zeitraumexit e.V. Mannheim, Het Veem Theater Amsterdam, Musée de la danse /CCNRB
Aus der Begründung der Jury:
„Durch einen Dschungel wahlloser, unkonkreter, fahriger Bewegungen rollen und zappeln drei junge Männer, jeder bekleidet mit nichts als einem verschmutzten Hemdchen von genau der richtigen Länge. Sie führen vor, dass wir uns doch noch nicht vom Neandertaler entfernt haben. Wenn wir nicht jagen oder sammeln, tollen wir herum, ärgern uns gegenseitig oder beschnüffeln uns. Der Auswilderung entspricht eine anarchistische Arbeitsweise, die sehr folgerichtig eingelöst wird. Konsequent bleiben die drei Performer bei ihren zufällig wirkenden Choreographie- und Bewegungselementen, die in seltsamer Weise an einen Urzustand erinnern. In den zahlreichen Facetten ihrer Beziehungen begrenzen sie sich ausschließlich auf den Körper und seine lautlichen Äußerungen. Sie bespaßen mit einer beeindruckenden Präsenz sich und somit auch das Publikum bis zum als Schaukampf inszenierten Schlussapplaus.
Wir überreichen den Tanzpreis – und hoffen, dass die drei sich nicht darum prügeln werden.“
Sonderpreis für eine herausragende künstlerische Leistung in Höhe von € 4.000 – gestiftet von der Staatlichen Toto-Lotto GmbH Baden-Württemberg, überreicht von Regine Koch-Scheinpflug
für snap deluxe mit twilight/echo I Freiburg – für das Zusammenwirken von Musik, Bühne und Licht
Aus der Begründung der Jury:
„Wir haben uns entschlossen, den Sonderpreis für eine herausragende künstlerische Leistung in einer Kategorie zu vergeben, die es gängigerweise so noch gar nicht gibt, nämlich: Atmosphäre. Das Zusammenspiel von Soundcollage, Raumkonzept, Bühne und Licht in der Produktion twilight/echo fanden wir herausragend in der Art, wie hier souverän und gleichzeitig subtil eine Stimmung erzeugt wird, die den Abend ganz wesentlich trägt. Daher freuen wir uns, diesen Preis an das Team Jens Dreske und Tom Schneider zu vergeben, die für Musik, Bühne und Licht der Produktion verantwortlich zeichnen. Das ist natürlich eine uralte Wahrheit der Darstellenden Kunst, nämlich dass jede Aufführung aus dem Zusammenspiel aller beteiligten Elemente besteht und keines isoliert bestehen kann. Der Rollrasen alleine ist es also nicht. Dreske und Schneider setzen nicht auf große Effekte sondern konzentrieren sich ganz auf die Herstellung einer atmosphärischen Geschlossenheit, die in der Inszenierung dann nach und nach verunsichert und aufgelöst wird. So schaffen sie es, ihr Thema und auch die Auseinandersetzung mit dem künstlerischen Vorbild nicht nur über den Tanz oder die Sprache, sondern primär über Raumarrangements eindrucksvoll zu bearbeiten. Bis hin zur Öffnung der Bühne hin zum Zuschauerraum und das Hineinnehmen der Zuschauer in diese Atmosphäre. So wächst der akkurat in Quadraten ausgelegte Rollrasen über die Rampe hinaus, wird das Theater zum Garten, dessen Geräusche, Gerüche und Gestalten sich in Geisterstimmen verwandeln.“
Publikumspreis in Höhe von € 3.000 – gestiftet von der Germanwings GmbH, überreicht durch Manja Rogler
für Sudermann & Söderberg mit A Talk I produziert von zeitraumexit e.V. Mannheim, FFT Düsseldorf, Het Veem Theater Amsterdam
Sonderpreis für eine außergewöhnliche darstellerische Leistung in Höhe von € 2.000 – gestiftet von der Buchhandlung Wittwer, überreicht von Dr. Konrad Martin Wittwer
für Sudermann & Söderberg mit A Talk I produziert von zeitraumexit e.V. Mannheim, FFT Düsseldorf, Het Veem Theater Amsterdam
Aus der Begründung der Jury:
„Es ist sehr tröstlich zu wissen, dass es mir jetzt, da ich (hier zu Ihnen) spreche, im Kern so gar nicht um die Inhalte meiner Rede geht! Seit vergangenen Mittwoch weiß ich: Auch diese Gelegenheit nutze ich schamlos aus, um mit kleinen Melodie- und Rhythmusfragmenten mich, mein Stammhirn oder was auch immer in mir zu stimulieren und auf sehr reizvolle Weise bei Laune zu halten. Alma Söderberg und Jolika Sudermann alias Sudermann & Söderberg haben sich die Mühe gemacht, dem musikalisch-choreographischen Anteil unseres Sprechens einer obsessiven Analyse zu unterziehen. Und sie tun dies mit einer charmanten Meisterschaft und souveränen Beherrschung ihrer Mittel, die gleichermaßen erstaunt wie beschwingt. Bis ins letzte mikro-rhythmische Detail eignen sie sich unsere Alltagssprache an, so dass sie sich im Duett vortrefflich wiedergeben, sprechen, singen, klatschen, stampfen, ja sogar tanzen lässt. Ein geradezu traumwandlerisches Aufeinanderhören und Achten zeichnet die Arbeit von Sudermann & Söderberg aus, ohne dass sie die Mühe und Intensität dieses Zusammenspiels negiert. Das beseelte Lächeln, das die beiden Akteurinnen ihrem Gästen dabei auf die Gesichter zaubern, erzählt von jener tief empfundenen Einwilligung, die beim Zuhören entsteht, wenn sich das Sprechen auf diese Weise endlich einmal ganz von der Last des Sinns befreit. Wir wissen nun: Wenn ich zukünftig mal wieder mehr Ähhs als Worte in einem Satz unterbringe, auf Verben verzichte oder gar halbe Sätze unvollendet im Raum stehen lasse: Alles Absicht!“
Die Preis-Jury:
Marcus Droß, Programmdramaturg am Frankfurter Künstlerhaus Mousonturm in Frankfurt und im Leitungsteam des Hauses
Karin Kirchhoff, Kuratorin des Festivals „Tanz! Heilbronn“ am Theater Heilbronn, Gastdozentin am Hochschulübergreifenden Zentrum Tanz in Berlin, an der UdK Berlin und der Bundesakademie für Kulturelle Bildung in Wolfenbüttel
Rüdiger Meyke, Theaterreferent im Stuttgarter Kulturamt, für die Tanz- und Theaterszene zuständig
Tom Mustroph, freier Autor und freier Dramaturg, Berlin und Palermo
Jan-Philipp Possmann, Dramaturg und Produzent, Mannheim
Bettina Sluzalek, Dramaturgin und Mitglied der Künstlerischen Leitung am Radialsystem V., Leiterin des Mentorenprogramms des Performing Arts Programm des LAFT Berlin
Verena Weiss, Tänzerin, Choreografin und Regisseurin, Professorin für Körperarbeit an der Hochschule für Darstellende Kunst Stuttgart
Die nominierten Produktionen:
Aloun Marchal, Roger Sala Reyner, Simon Tanguy mit Gerro, Minos & Him I produziert von zeitraumexit e.V. Mannheim, Het Veem Theater Amsterdam, Musée de la danse /CCNRB
meinhardt & krauss mit R.O.O.M. I Stuttgart
Herbordt/Mohren mit Das Stueck (Intervention) I Stuttgart
eva baumann tanz/produktionen mit solitaire – ein Solo über das Solo I Stuttgart
backsteinhaus produktion / Nicki Liszta & Co mit Superbia I Stuttgart
Sudermann & Söderberg mit A Talk I produziert von zeitraumexit e.V. Mannheim, FFT Düsseldorf, Het Veem Theater Amsterdam
La-Trottier Dance Company mit Chaos I Mannheim
Cargo-Theater mit Das finstere Tal I Freiburg
snap deluxe mit twilight/echo I Freiburg
THEATER–PROJEKT STUTTGART 22 – STÜCKE mit Buntschatten und Fledermäuse I Stuttgart
Die Auswahl-Jury:
Annette Hoffmann, freie Journalistin, Freiburg
Ralf-Carl Langhals, Schauspiel- und Tanzredakteur, Mannheimer Morgen
Sonia Santiago, Trainerin und Choreographin, Saarbrücken, Hannover und Stuttgart
Frederik Zeugke, Dramaturg Staatstheater Stuttgart & Dozent für Dramaturgie und Theatertheorien an die Staatliche Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Stuttgart
Mehr Informationen unter www.theaterhaus.com sowie www.stuttgarter-theaterpreis.de
Im Attachment: Gruppenbild Gewinner, Jury und Preisstifter, Foto: Jörg Becker
Mehr Pressefotos zum Download im Pressebereich von www.theaterhaus.com – Passwort: hermes oder direkt:
http://www.theaterhaus.com/theaterhaus/?id=1,6,4417#jump
Pressekontakt:
Nicola Steller, steller@freie-pr.de, Tel. 07156-350616
Antje Mohrmann, antje.mohrmann@theaterhaus.com, Tel. 0711-40207-33
Der Stuttgarter Tanz- und Theaterpreis wird veranstaltet vom Theaterhaus Stuttgart in Kooperation mit dem Landesverband der Freien Tanz- und Theaterschaffenden Baden-Württemberg (LAFTT) und dem Kulturamt der Stadt Stuttgart. Partner und Preisstifter sind die Landeshauptstadt Stuttgart, die Staatliche Toto-Lotto-GmbH Baden-Württemberg, die Germanwings GmbH sowie die Buchhandlung Wittwer.
Das Theaterhaus Stuttgart wird gefördert von der Mercedes-Benz Bank, dem Land Baden-Württemberg und der Stadt Stuttgart.
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